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What is authentic? | Day 2

Rebekka Zeinzinger und Irene Zanol vom Literaturpodcast „Auf Buchfühlung“ berichten täglich von den Europäischen Literaturtagen.
Auf Buchfühlung (Rebekka Zeinzinger & Irene Zanol)

Was ist echt? | Tag 2
Freitag, 21. November 2025

11.00 Uhr, Cybersecurity and Artificial Intelligence in Publishing. Emma House im Gespräch mit Rosie Goldsmith

“We are at the start of a journey”, meint Emma House mit Blick auf die rasante Entwicklung von Large Language Models (LLM) und anderer KI-Anwendungen. Es ist eines der großen Themen unserer Zeit, das schon am Eröffnungsabend angeschnitten wurde: die künstliche Intelligenz und ihre Bedeutung für Autor*innen und andere im kreativen Bereich Tätigen. Dazu befragte Rosie Goldsmith im ersten Gespräch des Tages Emma House, Expertin und Beraterin im Bereich Publishing.

Derzeit befänden wir uns noch in einer Situation der absoluten Unreglementiertheit. Es sei nötig, gewisse Rahmenbedingungen sicherzustellen: Transparenz, also die klare Unterscheidbarkeit von KI-generierten und nicht-KI-generierten Inhalten, Wahlfreiheit – also den Einsatz von KI bewusst und selbst zu steuern, sowie die Vergütung – denn gegenwärtig sorgt vor allem der Umstand für Besorgnis, dass Urheber*innen für die Nutzung ihrer Werke (enorme Mengen an copyrightgeschütztem Material, mit dem die KI trainiert wurde und wird) keinerlei Vergütung bekommen.

Es gibt nach wie vor große Vorbehalte dem Einsatz von KI gegenüber, tatsächlich sei es aber wichtig, KI weniger als Gefahr, denn als Bereicherung zu sehen und entsprechend zu nutzen. Die Frage sei nur, wie sie auf ethisch verantwortliche Weise genutzt werden kann, so House. Dazu gilt es die rechtlichen Rahmenbedingungen auszuarbeiten und die Forderungen nach Transparenz, Wahlfreiheit und entsprechender Vergütung umzusetzen.

11.40 Uhr, ChatGPT, Datenpoesie und alternative Zukünfte. Jörg Piringer und Paul Feigelfeld im Gespräch mit Rainer Moritz

Nachdem Emma House deutlich gemacht hat, dass wir erst am Anfang einer Entwicklung stehen, die nicht mehr aufzuhalten sei, setzt sich die zweite Veranstaltung des Vormittags intensiv mit künstlich generierten Texten, Bildern und Stimmen und ihren Folgen auseinander. Moderiert von Rainer Moritz nehmen der Schriftsteller, Musiker und Informatiker Jörg Piringer sowie der Kultur- und Medienwissenschaftler Paul Feigelfeld auf der Bühne Platz. Befragt nach der weitverbreiteten Annahme, Technik – insbesondere das Internet – würde zur Demokratisierung beitragen, bestätigt Feigelfeld, dass das viele glauben würden, dies aber nicht die Absicht jener war, die die Maschinen gebaut haben. Zuckerberg und Co. hätten Twitter-Revolutionen und ähnliche Entwicklungen nicht intendiert, sondern sofort nach ihrem Aufkommen mit dem demokratiezersetzenden Potenzial von Social Media experimentiert. Auch Piringer erinnert sich an den Kipppunkt seiner Technik-Begeisterung: Waren die ersten Webbrowser in den 90ern noch mit der Hoffnung verbunden, sie könnten die Welt vereinen, folgte nach 9/11 bald ein erster Bruch durch das Aufkommen der Überwachungsmechanismen der amerikanischen Regierung und den Aufdeckungen Edward Snowdens.

Die Angst vieler Kreativer, von der KI ersetzt zu werden, teilt Feigelfeld nicht, denn er glaube an die essenzielle Funktion und Verantwortung von Kunst, insbesondere im Hinterfragen ihrer Medien. Zentral sei die Frage, wie man mit Medientechniken umgehe – egal, ob es um den Pinsel geht, der mit an einem Bild malt, oder eben um die KI, die ebenso als Werkzeug eingesetzt wird. Die Rolle der Kunst sehe er darin zu zeigen, was die KI kann, das wir Menschen nicht können und wofür sie eingesetzt werden kann. Den Anspruch, wirklichkeitsverändernd agieren zu können, müsse sich die Kunst wieder zurückholen, so Feigelfeld.

Ein Beispiel für einen möglichen Weg, den Schriftsteller:innen mit der KI gehen können, liefert Jörg Piringer mit der Lesung aus seinem 2025 im Ritter Verlag erschienen Text verbrenner, einem „Redestrom durch die Wortfelder von Brand und Feuer, Zerstörung und Asche, aber auch von Löschen, Überschwemmung und Ertrinken“, aus der der Computerkünstler und Autor abschließend liest.

14.30 Uhr, Spaziergang mit Albert Hosp

Längst schon Elit-Tradition geworden sind die Spaziergänge mit dem Musikjournalisten und Ö1-Moderator Albert Hosp, der in diesem Jahr mit einer Gruppe von Festivalteilnehmer:innen durch die Altstadt von Stein spazierte und dem Stellenwert von Echtheit in der Musik nachspürte. Mit Klangbeispielen, die von Bach über Mozart bis Bob Dylan reichten, und gespickt mit Anekdoten aus der Musikgeschichte wurde deutlich, wie viele Aspekte von der Frage nach der Authentizität und Echtheit auch in der Musik berührt werden. Beispielsweise: Jede Interpretation eines Musikstücks ist anders, gibt es überhaupt eine “echte”? Oder: Die Titel vieler bekannter Musikstücke stammen gar nicht von den Komponisten selbst, sondern wurden erst nachträglich hinzugefügt, wie etwa in den Fällen von Beethovens “Mondscheinsonate” oder Mozarts “Jupitersinfonie”. Sind sie deshalb weniger echt?

Der Spaziergang endete in der Landesgalerie Niederösterreich, wo die Künstlerin Regula Deittwiler durch ihre Ausstellung „Unvergesslich“ führte, eine poetische Installation, die aus natürlichen und künstlichen Blumen besteht und die Spannung zwischen den Polen Künstlichkeit und Natürlichkeit aufgreift und künstlerisch umsetzt. 

17.00 Uhr, Das Nachleben der Vergangenheit. Raphaëlle Red im Gespräch mit Rainer Moritz

Eine Road Novel, wie sie etwa Jack Kerouac mit seinem Klassiker On the road geschrieben hat, erzählt in der Regel von Freiheit und Identitätsfindung. Doch könnte in diesem Szenario auch eine Frau dieselbe Freiheit erleben? Wie sicher könnte sich eine junge Schwarze Person fühlen, die durch die Südstaaten der USA reist? Raphaëlle Red hat mit Adikou einen beeindruckenden Debütroman vorgelegt, eine Road Novel aus der Perspektive einer jungen Schwarzen Frau, die herkömmliche Narrative über Identität und Migration aufbricht. Im Original auf Französisch verfasst, wurde der Roman in Zusammenarbeit mit der Autorin von Patricia Klobusicky ins Deutsche übersetzt. 

Die Protagonistin begibt sich darin auf Spurensuche durch mehrere Kontinente und begegnet dabei auch der Frage, wie relevant die Vergangenheit der Kolonialgeschichte für sie selbst ist. Identitäten, so betont die Autorin, hängen immer mit den Geschichten zusammen, die wir uns erzählen. Im Kontext der afrikanischen Diaspora ist vor allem die Versklavungsgeschichte aus afro-amerikanischer Perspektive dominant. Hier ist eine Protagonistin, die persönlich zwar damit wenig zu tun hat, aber trotzdem eine Verbundenheit spürt und all diesen Spuren nachgeht. Interessant ist die Frage des „colourism“, also die Tatsache, dass Adikou selbst innerhalb der Schwarzen Gemeinschaft erlebt, wie sie in ihrem Schwarzsein eingeordnet und aufgrund ihrer mehr oder weniger hellen Hautfarbe diskriminiert wird.

Bei den Themen Identität, Zugehörigkeit, Migration, Post-Migration sei es enorm wichtig darauf zu achten, wer darüber spricht. Es wird vieles als natürlich, organisch dargestellt, was eigentlich konstruiert ist. Genau das ist auch in der Erzählperspektive des Romans angelegt, die an einigen Stellen verschwimmt und immer wieder für sicher Geglaubtes infrage stellt. Die Protagonistin erfährt bei ihrer Ankunft in Togo, dass sie ihren Namen bisher falsch ausgesprochen habe. Aber was heißt „falsch“? Man könnte auch argumentieren, dass jene Aussprache die „echte“ ist, die die Namensträgerin selbst verwendet.

17:40 Uhr, Die Wissbegierde der Zukunft. Jonas Lüscher im Gespräch mit Rainer Moritz

Unter dem Titel „Die Wissbegierde der Zukunft“ stand das zweite Gespräch des Nachmittags, das Rainer Moritz mit dem vielfach ausgezeichneten schweizerisch-deutschen Schriftsteller Jonas Lüscher über seinen Roman Verzauberte Vorbestimmung führte.

Am Beginn seiner Arbeit an einem Roman stehe immer eine Frage, die er an die Welt hätte, so Lüscher. In diesem Fall war es die Frage danach, wie sich das Mensch-Technik-Verhältnis über die Jahrhunderte entwickelt hat. Um sie zu beantworten, führte Lüscher verschiedene zeitliche Ebenen in den Roman ein. Er handelt einerseits zur Zeit des Ersten Weltkriegs, begleitet andererseits einen böhmischen Weber im Frühkapitalismus und nimmt den/die Leser:in schließlich auch mit ins Kairo der nahen Zukunft. Seinen Ausgang nimmt die Geschichte aber in der autofiktional verarbeiteten Corona-Erkrankung des Autors, der für einige Wochen im Koma eine Art Cyborg-Dasein führte und sein Überleben komplett der Technik zu verdanken habe, wie er sagt. So bringt der 2025 erschienene Roman ein durchaus ambivalentes Verhältnis zur Technik zum Ausdruck.

Wie sehr das Buch von seinen Schauplätzen lebt, wie Rainer Moritz feststellte, und auf welch großartige Weise er durch Leitmotive zusammengehalten wird, wurde in der kurzen Lesung deutlich, die sich an das Gespräch anschloss.

19.30 Uhr, Worte und Töne I: Georgi Gospodinov, Nava Ebrahimi und Miriam Adefris

Worte und Töne – Räume und Zeiten, so könnte diese von Veronika Trubel moderierte Veranstaltung auch heißen. Den Klangraum Krems Minoritenkirche erfüllen an diesem Abend atmosphärische Harfentöne von Miriam Adefris. 

Durch unterschiedliche Räume und Zeiten begeben wir uns zunächst mit Georgi Gospodinovs preisgekröntem Roman Zeitzuflucht, in dem die Menschen sich in einer Klinik für Vergangenheit einrichten. Warum die Leute in die Vergangenheit wollen? „Weil wir einen extremen Mangel an Zukunft haben“, so Georgi Gospodinov, der als erster Autor aus Bulgarien mit dem International Booker Prize ausgezeichnet wurde und damit auch für viel Aufmerksamkeit für die zeitgenössische bulgarische Literatur gesorgt hat.

Burgschauspieler Stefko Hanushevsky liest Auszüge aus Zeitzuflucht sowie aus Gospodinovs neuestem Roman, Der Gärtner und der Tod (beide aus dem Bulgarischen übersetzt von Alexander Sitzmann).

Im zweiten Teil des Abends nimmt Nava Ebrahimi bei Veronika Trubel auf der Bühne Platz und spricht über ihren kürzlich für den deutschen Buchpreis nominierten Roman Und Federn überall, in dem ein riesiger Geflügelschlachthof das Leben von sechs ganz verschiedenen Menschen prägt. Das Interessante an der Fleischindustrie, so Ebrahimi, sei für sie, dass sie so exemplarisch zeigt, wie gut wir Menschen im Verdrängen sind. Die meisten von uns essen Fleisch, doch wir wollen nicht wissen, woher es kommt, auf welche Weise und wo es produziert wird. Unser Verhältnis zu Tieren sei sehr stark von gesellschaftlichen Konventionen geprägt. Für das starre Festhalten an diesen Konventionen - auch dafür stehe die Fleischfabrik im Roman. 

In eindringlichen Worten und Tönen findet ein Festivaltag seinen Abschluss, an dem der Frage nach dem “Echten” auf vielfältige Weise nachgespürt wurde. 

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