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Was ist echt? | Tag 1

Rebekka Zeinzinger und Irene Zanol vom Literaturpodcast „Auf Buchfühlung“ berichten täglich von den Europäischen Literaturtagen.
Auf Buchfühlung (Rebekka Zeinzinger & Irene Zanol)

Was ist echt? | Tag 1
Donnerstag, 20. November 2025

Ist Homer, der als erster europäischer Schriftsteller gilt, ein einziger, ein echter Mensch gewesen? Stammt die Wendung “Panta rhei” (Alles fließt) wirklich von Heraklit oder hat man ihm das Zitat bloß zugesprochen? Gab es Jesus wirklich und wer ist er eigentlich gewesen? Walter Grond eröffnet die europäischen Literaturtage 2025, die der Frage “Was ist echt?” nachspüren, mit großen geistesgeschichtlichen Referenzen und mit einem “ungebrochenen Vertrauen zur Literatur”. 

Die Frage nach dem Verbindlichen sei eine der ältesten Fragen der Menschheitsgeschichte, so Walter Grond. Heute lebten wir in einer Epoche, von der manche behaupten, sie sei durch die erste „unmenschliche“ Revolution gekennzeichnet: Die rasante technologische Entwicklung mache es zunehmend unmöglich, zwischen dem Echten und Unechten zu unterscheiden. Was von den Bildern und Tönen, die wir sehen und hören, ist echt? Welche Nachrichten, die wir für vertrauenswürdig hielten, sind fake? Was ist Kreativität und ist sie wirklich dem Menschen vorbehalten? In den nächsten Tagen werden diese und andere Fragen aufgegriffen und die Literatur, die ein “riesiges Archiv menschlichen Erfahrungswissens” darstellt, steht dabei im Fokus. Walter Grond öffnet in seinem Eingangsstatement einen großen Raum und zeigt die vielfältigen Richtungen auf, in die die Diskussionen zur diesjährigen Leitfrage gehen könnten. 

Als Erste stellen sich Philosophin Eva Weber-Guskar und Buchpreisträgerin Martina Hefter im Gespräch mit Katja Gasser der Herausforderung, eine Antwort auf die Frage “Was ist echt?” zu finden. 

Ihr Ausgangspunkt sind persönliche Assoziationen mit dem Thema: Sind nur Dialektsprecher*innen echte Einheimische? Ab wann ist man ein echter Punk? Sind Facebook-Freunde echte Freunde? Dazu bringt Eva Weber-Guskar, Professorin für Ethik und Philosophie der Emotionen an der Ruhr-Universität Bochum, eine interessante Perspektive ein: Als Facebook populär wurde, habe man sich die Frage gestellt, ob die Freunde auf der Plattform echte Freunde seien, sie aber nicht beantwortet, sondern stattdessen einen neuen Begriff geprägt: Facebook-Freunde. 

Weber-Guskar ordnet ein, was “echt” überhaupt bedeuten kann und unterscheidet drei Verständnisse des Begriffs: natürlich - künstlich, Original - Kopie, Sein - Schein. Nach einem kurzen Abriss der Geschichte der künstlichen Intelligenz und ihrer Grundideen ging die Philosophin auf die Frage ein, wie Technik unser Gefühlsleben verändert. In ihrem Buch Gefühle der Zukunft. Wie wir mit emotionaler KI unser Leben verändern, beschäftigt sie sich mit Affective Computing, also dem Versuch, Computerprogrammen Emotionen anzutrainieren. Emotionserfassungssystemen wohnen Gefahren gleichermaßen inne wie Chancen: Könnten sie in den Händen autoritärer Herrscher etwa heute schon dazu eingesetzt werden, auf Polizeistationen vermeintlich “Schuldige” zu ermitteln, sind sie etwa im medizinischen Bereich vielversprechend, z. B. um epileptische Anfälle mithilfe von Smartwatches vorhersagen zu können.

Auch der Nutzen von Chatbots ist Weber-Guskar zufolge ambivalent: Für manche Menschen kann die durchaus reale Interaktion mit der KI Anregung sein, mehr aus dem Haus zu gehen und der Vereinzelung entgegenwirken, andere hingegen vereinsamen genau deshalb. Einem Chatbot Gefühle entgegenzubringen erscheint vielen alarmierend, allerdings sei das durchaus ähnlich wie bei fiktionalen Charakteren, etwa in der Literatur, von denen wir doch auch wüssten, dass sie nicht echt seien und denen gegenüber wir trotzdem Emotionen entwickeln. Die Imagination spielt hier eine wichtige Rolle. 

Chats, insbesondere Love-Scamming und die Frage nach Wahrheit und Lüge spielen auch in Hefters 2024 mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichneten Roman Hey guten Morgen, wie geht es dir? eine große Rolle. Vor ihrer Lesung führt Martina Hefter aus, dass sie keineswegs kulturpessimistisch sei und KI als Material, nicht als Kunstwerk sehe. Von KI verfasste Texte erkenne man häufig daran, dass sie zwar bizarr und infolgedessen interessant seien, ihnen aber häufig eine dahinter stehende Idee fehle. Das sei aber genau das, was das Künstlerische ausmacht. Als Material seien diese Texte aber gut nutzbar.

Die Frage “Was ist echt?” wird uns also noch die folgenden Tage beschäftigen. Wie gut, dass die Kremser Minoritenkirche im Rahmen der Europäischen Literaturtage einen echten Raum der Auseinandersetzung bietet.

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